Le Parisien

Im September 2015 bin ich aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Aus meiner Studienzeit in Syrien kannte ich zwei Musiker:innen, die in Leipzig studiert haben und meinten, dass ich zu ihnen nach Leipzig kommen kann. Dort habe ich mich informiert, wie ich Asyl beantragen kann. Dafür musste ich mich beim BAMF in Chemnitz melden - der Hauptanlaufstelle für Geflüchtete in Sachsen. Mit der DB App und Google Maps habe ich mich aus Leipzig auf den Weg gemacht - das war am 23. September 2015. Nach ein paar Stunden Wartezeit wurde man von dort per Taxi in eine Unterkunft für Geflüchtete gebracht, die in etwa aus 34 Zelten bestand, in denen jeweils 13 Menschen beherbergt waren. Wenn ich erzähle, dass wir wirklich zu dieser Jahreszeit (September bis November) in Zelten gelebt haben, glauben das die meisten Menschen erst mal nicht. Nachts waren es teilweise Minusgrade und bei Regen mussten wir das Zelt von Schlamm befreien, damit es nicht einstürzt. Vom ersten Tag an habe ich in der Unterkunft ehrenamtlich beim Dolmetschen geholfen und dabei Ronny Kolbe kennen gelernt - durch die Freundschaft mit ihm bin ich dann auch mehr mit Chemnitzer:innen in Kontakt gekommen. Anfang Oktober 2015 hat er mich mit zu seiner Familie genommen und sie haben mich eingeladen, dort zu übernachten. Ich weiß noch ganz genau, dass es die erste warme Nacht war, die ich seit Langem hatte, mich aber gleichzeitig schuldig gefühlt habe, da die anderen währenddessen frierend im Zelt lagen. Ich habe die Familie immer wieder besucht und so auch gut Deutsch gelernt. Generell musste ich immer darauf achten, nicht länger als 24 Stunden aus der Unterkunft fernzubleiben, da ich sonst riskiert hätte, dass meine Asyl Akte gelöscht wird. Irgendwann hat mir Ronnys Familie dann angeboten, bei ihnen zu wohnen und kurz darauf bin ich eingezogen. Ich bin acht Monate bei der Familie geblieben, bis ich in eine eigene Wohnung ziehen durfte. In dieser Zeit habe ich in Sprachkursen und mit der Familie Deutsch gelernt, 2017 bin ich dann nach Weimar umgezogen, um an der Hochschule für Musik Franz Liszt Gesang und Musiktheater zu studieren. Nachdem ich mein Studium beendet hatte, bin ich wieder nach Chemnitz gezogen – das war dann im Sommer 2021. Ich finde es schön, zu sehen, wie viel Unterstützung die Geflüchteten aus der Ukraine gerade vom Staat bekommen. Dennoch frage ich mich oft, warum nicht auch wir diese Unterstützung erhalten haben. Wo liegen die Unterschiede? Das tut weh. Ronny und seine Familie wurden damals angefeindet, weil sie mir geholfen haben - Generell ist das Verhalten der Chemnitzer:innen gegenüber migrantischen Menschen sehr extrem und polarisierend. Entweder sie sind super nett oder super rassistisch. Ich habe hier viele Freunde und tolle Menschen kennengelernt, aber ich habe auch viel Rassismus erlebt. Wenn ich ein Konzert gegeben habe, verlasse ich meistens direkt danach die Location, weil ich jedes Mal die gleichen Fragen gestellt bekomme: Warum trägst du kein Kopftuch? Wie kommt es, dass du Sängerin bist, aber aus Syrien kommst? Isst du Schwein? Trinkst du Alkohol? Niemand würde auf die Idee kommen dich das zu fragen, aber bei mir will das jeder wissen. Warum ist mein Verhältnis zum Essen und Trinken wichtig für die Leute? Lediglich wegen meiner Herkunft. Klar, Menschen sind neugierig, aber dafür gibt es das Internet. Meine Freunde und die musikalische Arbeit halten mich hier in Chemnitz. Ich habe hier einfach so viel erlebt. Nachdem ein Band-Kollege von mir gestorben ist, habe ich realisiert, dass wir wirklich in fast jeder Ecke von Chemnitz zusammen musiziert haben. An so vielen Orten in der Stadt hatten wir besondere Momente zusammen, haben Konzerte gespielt und Fotos gemacht - im Museum Gunzenhauser, dem Smac, am Küchwald, vor dem Rathaus usw. Generell ist Chemnitz eine große Stadt - hier ist Platz für alle. Ich habe aber immer das Gefühl, dass die Menschen hier nicht genug tun, um andere Kulturen und Lebensweisen kennenzulernen und ihnen den Raum zu geben. Vielleicht muss man versuchen, den Menschen, die nicht so offen sind zu zeigen, was sie tun können? Ansonsten würde es vielleicht helfen, mehr Veranstaltungen mit Essen und Musik zu organisieren, denn am Ende sind wir auch alle nur Menschen und Menschen lieben es zu essen, zu tanzen und eine gute Zeit zu haben. Dazu müsste man mit gezielter Werbung versuchen, die Menschen zu erreichen die noch wenige Berührungspunkte mit anderen Kulturkreisen und Lebensweisen hatten und ihnen die Begegnungsangst nehmen. Manchmal braucht es nur kleine Ereignisse, damit Menschen den Impuls bekommen etwas zu verändern oder umzudenken. Für Chemnitz träume ich von einer offenen Bühne in einer guten Location, wo sich Künstler:innen mit einer kurzen Bewerbung melden können. Dort gibt es dann immer wechselnde Musik von Menschen anderer Kulturen. Das muss nicht gegen Geld sein, es geht einfach darum, dass Menschen sich zeigen können. Es ist so einfach den anderen zu verurteilen und hassen, aber so schwer den anderen zu verstehen und zu lieben. Dafür braucht es viel Bewusstsein und Reflexion. Wir sind alle Menschen, sowohl gut als auch schlecht. Man sollte immer offen sein zu lernen und sich zu hinterfragen: bin ich wirklich offen gegenüber Anderem und Fremden oder nicht? Welche Worte benutze ich? Welche Worte sind rassistisch, ohne dass ich es weiß?

Sara