Bogdana

Speaker

Igor und ich kennen uns schon seit der Kindheit, wir sind beide in Belarus (Minsk) aufgewachsen und zusammen zur Schule gegangen. Später haben wir uns zufällig in der Bahn wieder getroffen und heute leben wir zusammen in Chemnitz. Ich arbeite hier als Grafikerin bei einer Werbeagentur, Igor hat 2016 seinen Master an der TU Chemnitz begonnen und arbeitet jetzt dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Um zu ihm ziehen zu können, haben wir in Belarus geheiratet. Dann hat es hat fast ein Jahr gedauert, alle Papiere zusammen zu bekommen, um nach Deutschland zu können. Die Langsamkeit und Detailgenauigkeit der Bürokratie war eigentlich die größte Hürde für uns. Zum Beispiel musste ich sehr viele detaillierte Fragen zu meiner Hochzeit beantworten. Normalerweise führt die Botschaft dann nochmal ein persönliches Gespräch mit einem selbst und dem Partner – bei mir war das aber nicht der Fall - ich habe einfach so viel geschrieben, wie ich konnte – ich denke, das hat denen dann einfach gereicht (lacht). Manchmal musste ich monatelang auf eine Antwort warten und oft nur auf Rückfrage die Auskunft bekommen, dass noch Papiere oder alternative Übersetzungen fehlen. Schwierig war außerdem, dass man keine Informationen online finden kann. Mir ist stark aufgefallen, wie niedrig das Niveau der Digitalisierung in Chemnitz und Deutschland generell ist. Auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel Werbung. In Belarus hat jedes kleine Nagelstudio einen Instagram-Kanal oder eine App, wo du deine Termine eintragen kannst. Man kann sagen: Belarus ist ähnlich wie die DDR, nur mit einem sehr hohen Niveau an Digitalisierung. Da der Staat die öffentlichen Medien im Griff hat, ist die Nachfrage nach wirklichen Informationen sehr groß, viele Journalist:innen und Bloger:innen nutzen das Internet, um sich zu organisieren und unabhängig und frei Informationen zu verbreiten. Menschen, die dort frei ihre politische Meinung äußern bekommen aktuell 15-20 Jahre Haft dafür, viele unserer Freunde sind daher mittlerweile in Nachbarländer wie Polen, Litauen und die Ukraine geflohen. Gerade die männlichen Freunde hatten Angst, dass sie in den Krieg ziehen und für Lukaschenko kämpfen müssen. Aber wie das so ist: Die Mehrheit ist dagegen und die Minderheit hat Waffen und deshalb gibt es bisher keine Lösung. Für uns war das alles am Anfang ein Schock, heute haben wir gelernt, damit umzugehen. Wenn wir mit unseren Familien sprechen, geht es selten um die politische Situation in Belarus – wir sprechen eher über Alltägliches. Zuhause waren wir zuletzt vor drei Jahren und wir werden auch nicht in absehbarer Zeit dorthin fahren, da die Gefahr besteht, nicht mehr ausreisen zu können. Anfangs erschien uns Chemnitz sehr klein, mittlerweile haben wir uns an Chemnitz gewöhnt. Uns fehlt ein bisschen das Straßenleben, die Restaurants und die Bars. Generell mehr junge Energie. Hier leben sehr viele ältere Menschen, die man aber kaum auf Veranstaltungen sieht, Familien ziehen eher aus dem Stadtgebiet heraus – das merkt man der Stadt an. Veranstaltungen, die wir sehr gerne mögen, sind zum Beispiel die IBUG oder die Begehungen. Auch den Kosmos Chemnitz möchten wir dieses Jahr besuchen! Am Wochenende fahren wir gerne mal raus in die umliegenden Ortschaften - einer unserer Lieblingsorte ist zum Beispiel die Talsperre in Einsiedel. Wir denken, für die Chemnitzer:innen wäre es wichtig, mehr rauszufahren und offener gegenüber Neuem zu sein. Uns sind viele Menschen begegnet, die schon ewig hier leben, aber kaum Orte außerhalb ihrer Arbeit und Hobbygarage kennen.

Bogdana