Mohammed Moazen

Speaker

Mohammed & die Arbeit

Meine Flucht begann 2013 in Damaskus in Syrien, ich war damals 25 Jahre alt. Erst haben wir uns innerhalb von Damaskus – ein paar Kilometer von unserem Haus entfernt – in einem Versteck aufgehalten. 2014 habe ich dann eine befristete Genehmigung bekommen, das Land zu verlassen und bin in die Türkei geflohen. Von dort aus konnte ich meinem Bruder Medikamente schicken – er lebt seit 2004 mit einer Fremdenniere. Ende Juni 2015 sind zwei meiner Brüder (damals 16 & 18 Jahre alt) in die Türkei nachgekommen und wir haben uns auf den Weg nach Deutschland gemacht. Zuvor hatte ich in der Türkei Menschen aus Berlin kennengelernt, die uns geholfen haben. Mit verschiedenen Fahrgelegenheiten und zu Fuß sind wir über Mazedonien, Serbien und Ungarn geflohen. Die Flucht aus der Türkei dauerte fast einen Monat. Unterwegs wurden wir von Schleusern beklaut und einfach irgendwo rausgelassen. In Ungarn haben uns Polizist:innen 4-5 Tage unter den schlechtesten Bedingungen festgehalten. Meinem Bruder ging es sehr schlecht, weil er in dieser Zeit öfter nicht an seine Medikamente kam. Wir haben gezwungenermaßen Asyl beantragt und kamen schließlich am 23. August 2015 in Berlin bei meinen Bekannten aus der Türkei an. Nach zwölf Tagen wurden wir nach Chemnitz geschickt und haben zuerst beim BAMF im Adalbert-Stifter-Weg gewohnt. Wir wussten, dass es viel Rechtsdruck in dieser Region gibt und haben uns gefragt, ob man uns verjagen würde. Eine Helferin, die ich hier kennengelernt habe, arbeitete damals im „faire Welt Laden“ - das war mein erster richtiger Anlaufpunkt in der Stadt. Hier habe ich einen Freund kennengelernt und wir haben uns gegenseitig Deutsch und Arabisch beigebracht – so entstand auch mein Spitzname „Mo“. Die gleiche Helferin hat mir vom Gemeinschaftsgarten „Bunte Erde“ erzählt, woraufhin wir einfach per Navi dorthin gelaufen sind - der Garten ist bis heute Teil meines Lebens hier. Weil mein Bruder durch seine Krankheit mehr Unterstützung brauchte, kamen wir bald im Familiencamp in der Max-Saupe-Straße unter – dort war es wärmer und hygienischer als in den anderen damaligen städtischen Erstaufnahmeeinrichtungen. Über eine Helferin, die dort Kindern Deutsch beigebracht hat, entstand der erste Kontakt zu einer Einheimischen. Ich habe ihr erzählt, dass ich gerne mehr tun würde und nicht nur im Camp sitzen möchte, woraufhin sie sich dafür eingesetzt hat, dass wir in die Altendorfer Straße kamen und von der Agentur für Arbeit nach unseren Qualifikationen befragt wurden. Ich habe bald beim sächsischen Flüchtlingsrat und dem deutschen Roten Kreuz ehrenamtlich als Dolmetscher gearbeitet und konnte immer mehr Kontakte knüpfen. Es war wichtig für mich, bald ein Einkommen zu haben. Für die Flucht haben wir 10.000 Euro von unseren Eltern geliehen, die dazu drei weitere Kinder in Damaskus ernähren mussten. Außerdem wollte ich meiner Familie regelmäßig Geld schicken. Bald bekamen wir finanzielle Unterstützung vom Sozialamt und erhielten Arbeitslosengeld (Hartz IV). Durch die Arbeitsagentur konnte ich eine Weiterbildung in meinem Studienfach Betriebswirtschaftslehre machen und nach vielen Vorstellungsgesprächen ein Praktikum in einer Steuerkanzlei bekommen. Der Bewerbungsprozess war nicht einfach, oft gab es Vorwände und Misstrauen, irgendwann hatte ich dann aber endlich ein Vorstellungsgespräch für eine Stelle in der Finanzbuchhaltung der Lebenshilfe. Ich habe mich damals sehr billig verkauft, um die Stelle zu bekommen - seit September 2017 arbeite ich nun dort. In Syrien habe ich drei Jahre einen ähnlichen Job gemacht – die Wissensgrundlage ist die gleiche, nur gibt es hier das Steuerrecht und oft IT-Lösungen für Aufgaben, die wir in Syrien per Hand bearbeitet haben.

Mohammed & die Freizeit

Ich hatte großes Glück, dass ich über die Arbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten schnell mit so vielen Einheimischen in Kontakt kam. Für meine Brüder war es weniger einfach, sie waren zu dieser Zeit noch Teenager und mehr einem kulturellen Konflikt ausgesetzt. Ich habe festgestellt, dass es gerade Menschen, die in diesem Alter aus ihrem Land fliehen oft an Orientierung fehlt. Ich musste mich anfangs sehr viel um meine Geschwister kümmern, vor allem um meinen kranken Bruder. Für meinen damals 16-jährigen Bruder, hatte ich damals die Vormundschaft, was viele Termine und Bürokratie erforderte. Als meine Brüder älter wurden, habe ich dann immer mehr im Bunte Erde Garten gemacht, bin gewandert, Fahrrad gefahren und habe an Kulturveranstaltungen teilgenommen. Oft war ich im Kraftwerk bei Workshops und Konzerten, nebenbei habe ich versucht, Deutsch zu lernen und Sprachkurse in der Volkshochschule belegt. Später habe ich dann in dem Chor „unity“ gesungen und über Freunde Kontakt zu einer Pfadfindergruppe bekommen. Aktuell investiere ich am liebsten meine Zeit in die Jugendarbeit der Pfadfinder:innen, weil ich merke, dass ich dort viel erreichen kann. Mein Ziel ist es, auch migrantische Kinder dafür zu begeistern und dabei zu unterstützen, sozialen Anschluss zu finden. Ich habe selbst gemerkt, wie schwer das meinen jüngeren Geschwistern gefallen ist. Die vielen Initiativen und Workshops hier, das sind Angebote, die in Syrien nicht bekannt sind – da ist das Kulturverständnis einfach ein anderes. Auch die Kriegs- und Fluchterfahrung traumatisiert und führt zu Misstrauen. Wenn man selbst von den eigenen Vertrauten vertrieben, hintergangen und verfolgt wurde schwindet oft das Interesse etwas mit neuen Menschen zu unternehmen und zu erleben - man braucht Zeit, wieder Vertrauen aufzubauen. Auch ich habe heute weniger Kontakt zu meinen Landsleuten, da ich hier Interessen entdeckt habe, wie beispielsweise der Besuch von Museen und Kulturveranstaltungen, bei denen viele meiner Landsleute nicht mitmachen möchten. Mittlerweile habe ich mir damit viel der hiesigen Kultur angeeignet und versuche Menschen aus meiner Heimat eher dafür zu begeistern und sie zu integrieren, als dass ich mich nur unter Landsleuten aufhalte. Ich möchte ihnen und den Einheimischen zeigen, dass Anderssein nicht „falsch“ ist, sondern genauso toll. Auch ich habe lange gebraucht, um eine Verbindung zu den Menschen hier aufzubauen. Wenn ich zum Beispiel auf der Arbeit etwas anders gemacht habe, wurde ich von manchen Kollegen blöd angemacht oder ignoriert. Meistens habe ich versucht Konfliktsituationen mit Humor zu lösen. Es ist sehr schade, dass kulturelle Gemeinschaften hier so getrennt voneinander leben, generell entdecke ich nämlich oft Ähnlichkeiten zu Syrien, wenn mir Menschen hier aus der DDR erzählen. Auch Syrien war ein sehr abgeschottetes, verschlossenes Land, weshalb ich die Mentalität der Menschen hier auf eine Art gut nachvollziehen kann. Ich würde den Chemnitzer:innen gerne sagen, dass sie Menschen nie mit Vorurteilen begegnen sollen – nur weil eine Person anders handelt, heißt es nicht, dass sie gefährlich ist. Naja – es braucht alles Zeit, man kann das nicht erzwingen. Wenn man darauf beharrt, passiert oft das Gegenteil. Wenn ich merke, dass etwas nicht läuft, wie ich möchte, arbeite ich daran. Ich habe gelernt: Was heute möglich ist, mache ich heute. Das Geschaffte bildet die Grundlage für den nächsten Tag und so baue ich mir mein Leben hier weiter auf. Ich wünsche mir, dass ich irgendwann sagen kann, dass ich bis zum Ende meines Lebens genau hier sein werde, dass keine Momente mehr kommen, in denen ich denke, dass ich nach Hause muss. Ich wünsche mir, dass ich meiner Familie irgendwann nicht mehr nur Geld schicken kann, sondern dass sie auch diesen Frieden erfahren, den ich hier erfahren darf. Diese Freiheit und den Wohlstand. Das sie nicht mehr dazu gezwungen werden, auf ungerechte Art und Weise in unmenschlichen Bedingungen zu leben.