Fatima

Le Parisien

Als meine Eltern, meine Schwester und ich 1998 aus dem Libanon nach Deutschland gekommen sind, war ich noch ein kleines Baby. Angekommen in Ludwigshafen, wurden wir direkt nach Freiberg geschickt. Dort lebten wir in verschiedenen Unterkünften für Geflüchtete, zweimal wurden Unterkünfte von Rechtsextremen in Brand gesetzt. 2000 sind wir dann in eine Unterkunft in Chemnitz gezogen. Zu dieser Zeit war ich vier Jahre alt, vieles weiß ich nur aus den Erzählungen meiner Eltern. Bald bin ich auf die Chemnitzer Körperbehindertenschule gegangen und habe anschließend eine Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation gemacht. Heute bin ich 26 Jahre alt, habe vier Semester Medienmanagement in Mittweida studiert, das Studium dann abgebrochen und mache aktuell meinen Bundesfreiwilligendienst bei Radio T – dort baue ich seit März letzten Jahres eine Redaktion für und mit migrantischen Menschen auf. Ich wollte eigentlich immer nach Leipzig ziehen, weil meine ältere Schwester auch dort lebt, aktuell hat sich dieser Traum allerdings wieder entfernt. Ich merke, dass in Chemnitz Bewegung aufkommt und möchte dazu beitragen, die Stadt bunter zu machen. Dennoch gibt es auch heute eigentlich keinen Tag, wo niemand aus meiner Familie Rassismus erfährt und jede:r von uns findet einen anderen Umgang damit. Meine ältere Schwester und ich orientieren uns politisch eher links und möchten uns nicht damit abfinden, meine Eltern hingegen sind konservativer eingestellt und wünschen sich, dass wir Konfrontationen mehr aus dem Weg gehen. Dennoch ist der hiesige Alltagsrassismus kein Grund für uns, die Stadt zu verlassen. Wir sind uns darüber bewusst, dass Rassismus überall existiert. Nicht nur weiße Menschen sind rassistisch. Für Chemnitz würde ich mir wünschen, dass die Menschen sich nicht mehr so ernst nehmen und darauf beharren, dass es ihre Stadt und ihr Land ist. Außerdem fehlt es an Kommunikation und Austausch untereinander. Ich wohne nun seit 20 Jahren hier und ich habe immer noch das Gefühl, dass Menschen mit internationalem Hintergrund hauptsächlich untereinander abhängen. Man muss versuchen, Menschen aus ihrer Gesellschaftsblase zu holen und ich denke, dass das vor allem durch Medien funktionieren kann. Nicht nur im Kleinen, wie ich das gerade mit der migrantischen Redaktion bei Radio T versuche, sondern auch in kommerziellen Medien. Dort gibt es zwar bereits ein paar migrantische Menschen, aber das sind immer noch Ausnahmen. Es wäre zielführender, wenn Menschen mit internationaler Geschichte mehr in öffentlichen Formaten vertreten wären und auch selbst Redaktionen koordinieren. Ich als Migrantin kann anders mit anderen Migrant:innen kommunizieren und auf sie reagieren, als Menschen die keine Migrationserfahrungen haben. So fühlen Migrant:innen sich meistens weniger unsicher und in die Ecke getrieben. Ich merke aber auch, dass es selbst für mich schwer ist, Mitwirkende für das Radio zu akquirieren und Vertrauen aufzubauen. Dazu nehme ich wahr, dass Menschen mit verschiedener Herkunft oft aufgrund anderer Ansichten nicht miteinander arbeiten möchten. Da findet viel Abgrenzung statt und es ist schwer sich unabhängig davon zu positionieren und dennoch integriert zu werden. Wenn ich zum Beispiel mit meinen arabischen Freund:innen abhänge, die noch stärker zu ihrem Land stehen oder auf eine Art patriotischer und religiöser leben, bin ich „die Westliche“ oder „die Europäische“. Wenn ich aber Zeit mit deutschgelesenen Personen verbringe, bin ich „die Migrantin“, weil ich ja dennoch Eigenarten habe, die ich mir durch meine kulturellen Einflüsse angeeignet habe. Das ist anstrengend. Im Endeffekt ist man so, wie man ist ja aufgrund von bestimmten Erfahrungen – diese Eigenarten sollten nicht an einem Land bzw. einer Kultur festgemacht werden. Ein wichtiges Ventil für mich ist auch der Rollstuhlbasketball. Der Sport bedeutet für mich Dampf ablassen und Selbstermächtigung. Zu zeigen, dass man auch als Mensch mit Beeinträchtigung krassen Sport machen kann. Das Tolle an dem Sport ist außerdem, dass kaum eine:r der Mittrainierenden nicht in der Lage ist zu gehen. So müssen sich besonders die nicht-behinderten Menschen anpassen und integrieren. Ich finde es wichtig, dass auch diese Menschen erfahren, wie es ist, wenn man sich ständig anpassen muss. Niemand achtet während dem Sport darauf, wer behindert ist und wer nicht. Es geht um den Sport.

Fatima